7. Tag, Dienstag, 19. Mai 2015 – Bourgoin Jallieu – Crest
Die Euroradler machen keine Reklame für Automobilclubs, aber bei jeder ihrer Etappen gibt es einen „gelben Engel“. Das ist der Fahrer, der (freiwillig) immer ganz hinten fährt. Er passt auf, dass kein Radler zurück bleibt – gleich ob er fotografieren möchte, einen körperlichen Bedürfnis nachgehen muss oder einfach ein wenig schwächelt. Gekleidet ist dieser Radler eigentlich ganz normal: nur er muss zusätzlich das „Besentrikot“ tragen, dies ist eine gelbe Warnweste, mit einem tourspezifischen Aufdruck auf dem Rücken. Nun ja, das „Besentrikot“ ist nicht immer sonderlich beliebt und so waren heute durchaus ein paar von uns froh, dass Dietrich den Job übernahm. Gerade bei einem anspruchsvollen Streckenprofil erfordert das dies volle Aufmerksamkeit – und dieses Profil war heute Vormittag durchaus vorhanden.
Wir kamen gut in Bourgoin los. Es tröpfelte leicht, Willi und Roland machten sich auf den Weg zum Bahnhof (nein, heute musste keiner von uns Zug fahren, sie wollten die Fahrkarte von Adi zurückgeben). Das klappte gut – und die Kaffeekasse freute sich. Bevor es aber soweit war, wechselten sich rasante Abfahrten (die uns lieber waren) mit ebenso steilen Anstiegen ab. Und so kamen wir zeitlich ein wenig in Verzug mit dem Mittagessen. Vor den letzten Anstieg hatte Roland eine spontane Eingebung. Er schlug vor, den letzten Anstieg im Spurt zu nehmen und im kommenden Ort (Hautervies) schon mal die Pizza zu bestellen. Nun wurde es zwar keine Pizza, dafür aber Nudeln mit zwei kräftigen Saucen und das in einer rekordverdächtigen Zeit. Man müsste überlegen, ob man den „Bestellboten“ nicht zum festen Bestandteil der Tourenplanung macht.
Nun gut, im Restaurant gab es nicht nur unser Mittagessen, sondern auch einen Hund. Wohin kam er, wo blieb er, wo ließ er sich minutenlang kraulen …… ich könnte immer noch dort sitzen, wenn er nicht eingeschlafen wäre (der Hund). Mit der schnellen Mittagsrast wurde es dann aber doch nichts. Hundert Meter nach dem Start meldete Willi „platt“ – es war schon der zweite Platten (den anderen hatte Klaus) an diesem Tag. Es reicht jetzt. Dafür nahmen wir den nächsten Anstieg mit voller Kraft, ließen uns nach Romans rollen und genehmigten uns einen vorgezogenen Geburtstagskaffee auf Nico, der uns ausdrücklich dazu animiert hatte. Jetzt setzte Rückenwind ein und so schafften wir es binnen zwei Stunden nach Crest – wo man uns im Hotel sogar mit einem nicht geplanten Wäscheservice eine große Freude machte. Natürlich halfen dabei auch wieder Roland bestechend freundliche Gesten und Worte. Ach ja, unser „gelber Engel“ machte seinen Job eigentlich tadelsfrei, wenn da nicht kurz vor Schluss die gelbe Warnweste statt über dem Rücken über der Lenkertasche gehangen hätte. Drei Worte und ein scharfer Blick reichten aus, um aus dem Bengel wieder einen Engel zu machen. Jetzt geht es zum Abendessen. Roland hat zum ersten Mal Gelegenheit aus seiner „Gebrauchsanweisung“ für Südfrankreich zu lesen. Atemlose Ruhe – vieles kommt uns bekannt vor – und jetzt wird es mir bewusst, wir haben in dieser Besetzung nur noch zwei Tage. Und jetzt haben wir auch für das T-Shirt Problem eine Lösung gefunden. Und das hat auch was mit einem Engel zu tun.
115,8 Kilometer, 16,9 km Durchschnitt, 55,4 km im Maximum, 6.50 Stunden, 1.142 Höhenmeter, 478 Meter am höchsten Punkt, 1.755 Kalorien